Als sich die Flamingo-Storch-Familie im Garten zum Abflug versammelte, bekam Frido plötzlich weiche Knie. „Kannst du den Flug übernehmen, Liebling? Ich habe meine Angst zwar überwunden, aber auf einen anderen Planeten zu fliegen, dafür bin ich noch nicht bereit.“ „Es macht eigentlich keinen Unterschied“, sagte Storchi, „nur, dass du die ganz Zeit darauf achten musst, an Höhe zu gewinnen.” „Eben das ist es ja! Ich bin ein Flamingo und keine Rakete, dafür habe ich noch nicht genügend Kraft in meinen Flügeln.“ „Puuhh, das wird aber auch für mich keine einfache Übung, wenn du und die Kinder auf meinem Rücken sitzen.“
Trotz aller Bedenken meisterte Storchi den Abflug einwandfrei. Lange blieb es jedoch nicht ohne Turbulenzen. „Was treibt ihr da?“, rief Storchi ganz aufgeregt. Frido, der kurz eingenickt war, schreckte auf und sah, welchen Blödsinn die Kinder veranstalteten.“ Flori machte Balancierübungen auf Storchis ausgestreckten Beinen, Filo kletterte auf Fridos Kopf und Fanni setzte sich gemütlich auf Storchis Schnabel.
„Kommt wieder zurück auf meinen Rücken!“ rief Frido ganz aufgeregt. „So kann eure Mama nicht an Höhe gewinnen!“ Doch sie hörten nicht auf damit. Erst als Frido laut schimpfte, kletterten sie wieder zurück.
Nach rund fünf Stunden erreichten sie den Planeten des kleinen Prinzen. Es war eine braune, mit Gras bewachsene und Steinen bedeckte Kugel. „Frido und Storchi?“, rief der kleine Prinz verwundert. „Was führt euch denn zu mir? Und wen habt ihr da noch mitgebracht?“ So lernte der kleine Prinz die Flamingo-Storch-Kinder Filo, Fanni und Flori kennen. „Wir wollen mit dir Silvester feiern!“, riefen Frido und Storchi im Chor. „Sil – was?“ fragte der kleine Prinz. „Davon habe ich noch nie etwas mitbekommen, obwohl ich von hier oben eine gute Sicht auf die Erde habe.“ „Silvester feiert man einmal im Jahr“, begann Frido zu erklären, „und zwar immer am 31. Dezember, das ist der letzte Tag des Jahres.“ „Genau, und am 1. Januar beginnt das Ganze dann wieder von vorne“, plapperte Storchi dazwischen. „Ach stimmt ja“, erinnerte sich der kleine Prinz. „Ihr habt ja die Zeit auf der Erde. Auf meinem Planeten gibt es so etwas wie Zeit nicht. Ich lebe immer im JETZT.“ „Dann würde ich sagen“, grinste Storchi, „verbinden wir doch das Leben im Jetzt mit dem Leben in der Zeit.“ Au jaaa, das wird bestimmt ein Abenteuer!“, freute sich der kleine Prinz.
Nach dem Feuerwerk kuschelten sich Filo, Fanni und Flori aneinander und schliefen tief und fest ein. Frido, Storchi und der kleine Prinz saßen noch zusammen und schauten in die Ferne. „Das letzte Mal, als wir uns sahen“, sprach Frido zum kleinen Prinzen, „hast du uns ein Geheimnis anvertraut.“ „Ja genau“, sagte Storchi. „Nur es ist so lange her, dass wir uns nicht mehr daran erinnern können.“ „Nun gut, es ist eigentlich ganz einfach“, sagte der kleine Prinz. „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ „Ich verstehe es nicht so ganz“ sagte Storchi. „Könntest du das Geheimnis vielleicht so erklären, dass wir es uns für immer merken können?“ Daraufhin schloss der kleine Prinz seine Augen und begann langsam zu sprechen: „Dieses Geheimnis will uns sagen, dass die Dinge nicht immer so sind, wie wir sie mit unseren Augen sehen. Es gibt da noch etwas Anderes, tief in unserem Inneren, das uns dabei hilft, zu sehen, wie die Dinge wirklich sind. Das bedeutet es, mit dem Herzen zu sehen.“ „Für mich hört sich das immer noch so an, als wenn ich das bald wieder vergessen habe“, sagte Frido. „Wie soll das funktionieren?“ „Besser kann ich es euch leider nicht erklären, denn wie es genau funktioniert, darf jeder für sich selbst herausfinden. Eines ist vielleicht noch wichtig: Mit dem Herzen zu sehen, kostet manchmal Mut und es braucht Übung, weil wir es nicht gewohnt sind. Man muss es immer und immer wieder versuchen, bis man irgendwann sein Herz ganz automatisch zum Sehen mitbenutzt. Doch diese Übung lohnt sich.
Am Neujahrstag, als sich die Flamingo-Storch-Familie zum Abflug bereit machte, wurde Storchi plötzlich ganz nervös. „Was ist, wenn die Kinder während des Flugs wieder Blödsinn machen?“ „Mmhhh, was können wir nur machen, damit das nicht passiert?“, überlegte Frido, da schaltete sich der kleine Prinz ein: „Setzt eure Flamingo-Störche einfach in den Korb, dieser ist doch jetzt fast leer.“ „Oh ja, so machen wir es“, entgegnete Storchi. „Manchmal sind die Lösungen so einfach, man muss nur Lernen, sie zu sehen.“
In dieser Geschichte besuchen Frido und Storchi den kleinen Prinzen.
Bilder und Inhalte sind angelehnt an: Saint-Exupéry, Antoine (2016), Der kleine Prinz, 23. Aufl., Düsseldorf, Karl Rauch Verlag